Horst Pukallus

Das Anliegen heißt: Innovation

 

Sorglose Kunst ist unwürdig.

– Horaz (Ars poetica)

Cutting Edge, der Name dieser Buchreihe, ist angeregt von Barry N. Malzberg, der keinem Leser innovativer Prosa ein Unbekannter sein dürfte. Er verwendet ihn im Zusammenhang mit Kurzprosa, nachzulesen in Michael K. Iwoleits genialem Essay-Band Reductio ad absurdum. Der Begriff ist hier durchaus in einem weiter gefassten Sinne zu verstehen, da er sich nicht auf die Veröffentlichung von Storys beschränkt. Auch Romane und längere Novellen sollen in Erwägung gezogen werden. Dreh- und Angelpunkt bei der Konzeption dieser Reihe waren Inhalte des Modell- und Alternativdenkens, der Spekulation sowie des subversiven Hinterfragens philosophischer und gesellschaftlicher Grundvorstellungen. Das Ziel ist die Eröffnung von Perspektiven, die vom kommerziellen Mainstream abweichen. Selbstverständlich gehört dazu auch der Blick über den Tellerrand. Deshalb hat die Redaktion, obwohl das Schwergewicht deutschsprachigen spekulativen Autoren gelten soll, die Absicht, gelegentlich auch Literatur aus anderen Ländern, die dort durch die angloamerikanische Übermacht marginalisiert ist, zu verlegen, sowie zu Unrecht vernachlässigte Klassiker. Wir wollen unseren Teil beitragen zu einem Stoßkeil internationalen, innovativ-imaginativen Schreibens, der spekulativen Ideenliteratur.

Allerdings werden tatsächlich Kurzgeschichten einen Schwerpunkt der Reihe bilden. Es könnte aufschlussreich sein, nochmals darzulegen, warum die Redaktion der Kurzgeschichte eine so große Bedeutung beimisst. Nach unserer Überzeugung entsteht prägnante literarische Wirkung durch Erzähldichte, deren Medium nun einmal die kompakt geschriebene Story ist. Genau darauf hebt Malzberg in seiner Cutting-Edge-Bemerkung ab: „Perhaps that genre by definition will sustain its best work in that form; here a speculative premise and a protagonist upon whose life that premise is brought to bear can be dramatically fused with intensity.” (Zit. n. Reductio, S. 15)

Ich mag, weil es unergiebig wäre, nicht von den ins Elend des intellektuellen Existenzminimums geratenen Leserlingen reden, die geistig zu träge sind, um sich bei jeder Story in eine andere Situation hineinzudenken. Allerdings könnte die Begrenztheit einer Story-Handlung auch von intelligenten Menschen als problematisch empfunden werden. Dabei wird leicht übersehen, dass die Thematik einer Kurzgeschichte allemal in einem interaktiven Erkenntniszusammenhang steht. Ich habe in dieser Hinsicht schon bei anderer Gelegenheit, nämlich in NOVA 30, den deutschschweizerischen Autor Jonas Lüscher zitiert, und ich halte es für richtig und vor allem wichtig, das Zitat zu wiederholen: „Erzählungen“ (damit spricht er aber Narrative allgemein an) „beschreiben Einzelfälle. Indem wir diese Beschreibungen von Einzelfällen zueinander in Beziehung setzen, knüpfen wir ein Netz und erhalten eine dichte Beschreibung.“

Ein weiterer Vorteil des Story-Verfassens ist der Umstand, dass der Autor nicht auf den Markt achten muss. (Ohnehin darf der „Markt“ für den Schriftsteller kein Maßstab sein.) Der heutige sogenannte Literaturmarkt erübrigt für die Kurzgeschichte keinen Cent an Werbeaufwand. Darum braucht der Kurzgeschichtenautor nicht in Konjunkturschreiberei abzusumpfen. Statt stilistischen Unrat zu produzieren, der „einer schlechteren Sache würdig“ wäre (nach Karl Kraus), behält er die Freiheit, in Thema und Stil nach Gutdünken zu arbeiten und sein Bestes zu leisten. Der vielbeblökten Alternativlosigkeit stellt er alternative Literatur entgegen, die den Zeitgeist blamiert und im optimalen Fall Dimensionen kritischen Denkens erschließt. So kann ein Autor sein kreatives Potenzial ausschöpfen. (Im Übrigen jedoch sollte bei einem Schriftsteller, unabhängig von der Textlänge, diese Haltung ohnehin unerschütterlich sein.)

Es bleibt zu hoffen, dass der hohe Anspruch der Reihe Cutting Edge sich in jeder Beziehung erfüllen und durchstehen lässt. Wir erwarten, dass es uns gelingt, uns die Unterstützung – also die Beiträge – zahlreicher engagierter Autorinnen und Autoren zu sichern, und auf diesem Weg das Konzept aufgeht und Cutting Edge zu einem Erfolg gedeiht.